13.18
Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Bundesminister! Heute ist der Tag der Pflege, und an diesem Tag überschlagen sich ja die Ereignisse. Nachdem wir jetzt über diese Dringliche Anfrage diskutieren werden, findet in wenigen Stunden in Wien eine große Demo der Beschäftigten der Gesundheits- und Pflegeberufe statt. Auch in den anderen Bundesländern gehen die Beschäftigten der Gesundheits- und Pflegeberufe auf die Straße, und das hat einen Grund. Das hat den Grund, dass sie nicht mehr können. Ihre Belastungsgrenze ist erreicht. Sie sagen: Wir haben schon vor der Pandemie – und jetzt durch die Pandemie noch einmal verstärkt – Unglaubliches geleistet!
Die Belastungen waren extrem hoch: die psychischen Belastungen, die körperlichen Belastungen, auch die Belastungen durch Dienste, die nicht mehr planbar waren. Es sind Kolleginnen und Kollegen ausgefallen, es gibt Personalknappheit. Es war also ein unglaubliches Belastungspaket, das auf die Beschäftigten in diesem Bereich zukam.
Dazu kam noch die Pandemie mit all ihren Auswirkungen auf den Gesundheits- und Pflegebereich: noch einmal mehr Schutzanzug tragen, permanent Masken tragen, Verunsicherung, ältere Menschen, die nicht haben besucht werden können, Menschen mit Behinderung, bei denen es auch sehr schwierig war, sie zu betreuen, weil man da Masken nicht verwenden konnte. – Also alles das war ganz, ganz stark belastend, und es gibt einen Aufschrei der Beschäftigten in diesem Bereich, die sagen: Wir können nicht mehr! Wir gehen auf die Straße! Jetzt ist es Zeit, es muss etwas passieren!
Es ist nichts für sie passiert. Drei Jahre lang war Stillstand. Wir haben gewusst, wie stark diese Beschäftigten belastet sind, die Regierung hat es gewusst, und passiert ist nicht wirklich etwas, sondern nur sehr wenig. Es gab eine angekündigte Pflegereform, und nichts ist passiert. Dann gab es einen neuen Minister und eine neu angekündigte Pflegereform, und wieder ist nichts passiert. Das macht Sorge: immer nur Ankündigungen, immer nur hohle, schale Worte und nichts, was den Menschen in diesen Beschäftigungsgruppen wirklich hilft.
Die Frage der Gesundheitsversorgung und der Pflege betrifft ja viele Ebenen. Sie betrifft auf der einen Ebene – aus der Sicht von heute, am Tag der Pflege – die Situation der Beschäftigten, sie betrifft aber auf der anderen Seite natürlich vor allen Dingen die Situation von Menschen, die Pflege und Betreuung brauchen, von älteren Angehörigen, von Menschen mit Behinderung, von kranken Menschen – die haben es verdient, dass sie die bestmögliche Versorgung bekommen die bestmögliche Betreuung; das ist es, was sie brauchen. (Beifall bei der SPÖ.) Sie betrifft auch die Situation der pflegenden Angehörigen, eine sehr schwierige Situation. Pflege ist keine leichte Sache.
Ich darf noch einmal betonen – und ich glaube, es wird zu selten betont –: Pflege ist weiblich. Ich darf Ihnen die Zahlen der Beschäftigten, wie hoch der Frauenanteil ist, in diesem Bereich nennen: 82 Prozent des nicht ärztlichen Personals in Krankenanstalten sind Frauen, 84 Prozent der Beschäftigten in stationären Einrichtungen für Betreuung und Pflege sind Frauen, und bei den mobilen Diensten sind es 90 Prozent.
Es sind die Frauen, die diese Arbeit machen, oft schlecht bezahlt, mit schwierigen Arbeitsbedingungen, in höchsten Belastungsstufen, und es sind die Angehörigen, die pflegen, und da sind es zu 70 Prozent die Frauen. Also das heißt, Pflege, Betreuung ist ein Frauenthema.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr gerade die Frauen, die in den stationären Bereichen arbeiten, in den mobilen Diensten arbeiten, in den letzten Jahren belastet waren, auch in der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wie kriegen sie das alles unter einen Hut: keine Planbarkeit, wieder ein Dienst eingeschoben? Es gibt Teilzeit arbeitende Beschäftigte, die gesagt haben: Ich arbeite ja gar nicht mehr die Anzahl der Stunden in Teilzeit, die angesagt war, sondern ich arbeite in Wahrheit jetzt schon Vollzeit, weil es gar nicht anders geht!
Was all die Beschäftigten in diesem Bereich ausmacht, ist ganz viel Empathie und ganz große Liebe zu ihrem Beruf. Das gesamte Pflege- und Gesundheitssystem wäre bereits zusammengebrochen, würden die Menschen da nicht mit so viel Einsatz arbeiten. Das braucht Anerkennung und muss Anerkennung finden. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir gehen auf eine Situation zu, in der sich die Anzahl der Menschen, die Pflege und Unterstützung brauchen, sehr erhöhen wird. Bis 2050 wird die Zahl der Menschen, die Betreuung brauchen, aufgrund der demografischen Entwicklung von 450 000 auf 750 000 anwachsen. Es ist wichtig, dass jetzt etwas passiert.
Wir haben heute gehört, es gibt eine Pflegereform. – Gut, es gibt eine Pflegereform, aber diese Pflegereform, wie sie jetzt vorliegt, kann nur ein erster Schritt sein. Das ist nur ein kleiner Teil einer notwendigen Pflegereform. Es sind so viele weitere Schritte, die folgen müssen.
Lassen Sie mich ein bisschen auf das Papier eingehen – ich kann der Regierung die Kritik wirklich nicht ersparen; ich weiß nicht, welchen Hang sie zur Gigantomanie hat –: „Regierung bringt größtes Pflege-Reformpaket der vergangenen Jahrzehnte auf den Weg“. – Ja, bitte! Das ist alles ein bisschen zu viel (Zwischenruf des Bundesrates Kornhäusl), ganz ehrlich: „der vergangenen Jahrzehnte“. – Hm! (Beifall bei der SPÖ.)
Also die Einführung des Pflegegelds war schon einer der größten Schritte und einer der großen, grundsätzlichen und strukturellen Schritte. Dass man den Pflegeregress abgeschafft hat, das hat nicht diese Regierung gemacht. Dass man die Pflegekarenz und die Pflegeteilzeit eingeführt hat, das hat nicht diese Regierung gemacht. (Bundesrat Kornhäusl: Sie hat es erhöht!) Dass man den Pflegefonds gegründet hat, das hat nicht diese Regierung gemacht, sondern das ist schon längst vorher passiert. (Beifall bei der SPÖ.)
Nehmen Sie Ihren Mund nicht so voll! Das ist zu groß gespielt. Das Thema Pflege und Betreuung ist ein komplexes, ein schwieriges, und da darf man nicht mit Superlativen arbeiten, die man dann nicht einhalten kann, wie es auch bei diesem Papier, das jetzt vorliegt, ganz leicht zu sehen ist.
Man muss das Gute auch sagen, das ist ganz klar: Wir freuen uns natürlich über die Errungenschaft der Gewerkschaften, die Errungenschaft der Sozialdemokratie, denn ohne uns, ohne unseren Druck würde dieses Paket, das gute Teile beinhaltet, nämlich jene Teile, die auch die Beschäftigten besserstellen, nicht vorliegen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Das stimmt ja gar nicht!) Das ist ganz klar der Erfolg der Gewerkschaften, der Erfolg der Sozialdemokratie, ohne Zweifel, ganz, ganz klar. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Steiner-Wieser: Die Freiheitlichen waren da enorm dahinter!) Es ist gut, dass es umgesetzt wird. Wir freuen uns über jeden Cent mehr, den die Beschäftigten in diesem Bereich erhalten. Sie haben es verdient.
Man muss aber halt immer genauer lesen. Dieser Entwurf hält halt nur zwei Jahre. Was machen wir denn danach? Das ist keine strukturelle Änderung. Es ist schön, dass sie mehr Geld bekommen – keine Frage –, aber es ist nicht strukturell, sondern hält nur zwei Jahre lang. (Bundesrätin Grimling: Zwei Jahre!)
Wir freuen uns natürlich darüber, dass die Beschäftigten ab dem 43. Lebensjahr jetzt die sechste Urlaubswoche bekommen; das ist analog zu den Regelungen, die der Bund hat. Super! Wenn es funktioniert, dass die Kräfte in der mobilen Pflege, die extrem hoch belastet sind, demnächst – im nächsten Monat, im übernächsten Monat – sagen können: Wir haben jetzt sechs Urlaubswochen und können endlich mehr Urlaub genießen!, dann ist es gut. Wenn es nicht funktioniert, dann war es nur Ankündigung. Ich hoffe, dass es nicht nur Ankündigung ist.
Es sind viele Punkte drinnen, bei denen man nachfragen muss: Was wird es denn konkret werden?
Wir hoffen, dass es bei den Kompetenzerweiterungen für PflegeassistentInnen und PflegefachassistentInnen nicht zu einem billigeren Einkauf der Leistung kommen wird.
Wir freuen uns natürlich, dass die Pflegeausbildung, das Konzept der Pflegeausbildung jetzt endlich finanziell ordentlich dotiert ist. Das haben wir schon ganz, ganz lange gefordert. Wenn sich Menschen in diesen Bereich bewegen wollen oder sollen, was so dringend notwendig ist, weil es in Zukunft 100 000 Pflegekräfte zu wenig geben wird, dann muss man sie motivieren und sagen: Mach diese Ausbildung! Du kannst dir diese Ausbildung auch leisten!
Es ist gut, dass jetzt Geld in die Hand genommen wird, keine Frage. Wien ist schon vorangegangen, Kärnten ist vorangegangen, auch im Burgenland ist schon vieles passiert. Die Länder haben schon vorgelegt, jetzt wird es vom Bund umgesetzt, und wir hoffen, dass auch dieses Modell lange hält.
Eines sei dazugesagt: Es geht um die Qualifikation und darum, dass wir Menschen motivieren, in diesen Beruf zu gehen, der ein schöner, aber kein leichter, sondern ein ganz, ganz schwerer ist.
Wichtig ist aber auch, dass die Arbeitsbedingungen stimmen, und an der Arbeitszeit oder an den Strukturen ändert sich durch diese Pflegereform derzeit noch nichts. Da hoffen wir auf weitere Schritte.
Und ganz ehrlich: Die Pflegelehre ist für uns als Sozialdemokratie und als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter keine Lösung. Sie ist nicht die Lösung, den Pflegenotstand zu beheben. Es ist eher gefährlich, junge Menschen zu früh in diese Pflegesituation zu bringen. Natürlich kann man argumentieren, man wird es anders aufziehen, sie werden erst mit 17 Jahren an das Bett des zu Pflegenden kommen, aber Pflege ist schwer belastend, und man hat nichts davon, wenn man wieder eine Ausbildungsschiene schafft, bei der die jungen Menschen dann sagen: Na gut, ich mache das jetzt fertig, damit ich etwas habe, aber so schnell ich kann verschwinde ich wieder, weil es zu belastend war! – Das ist nicht gut und ist auch nicht richtig. Noch einmal: Wir sagen, Pflegelehre ist nicht der richtige Weg. (Beifall bei der SPÖ.)
Eine Aufstockung im Bereich von Menschen mit schweren psychischen Behinderungen und Demenz ist auch richtig. Dazu steht im Papier: „Damit stehen 20 Stunden zusätzlich pro Monat [...] zur Verfügung.“ Bedeutet das eine Aufwertung der Pflegestufe von Pflegestufe 3 auf Pflegestufe 4? Der Herr Bundesminister wird das sicher in die Beantwortung unserer Fragen mitnehmen und beantworten.
Die Erhöhung der Dauer beim Rechtsanspruch auf Pflegekarenz ist wunderbar, keine Frage; auch das ist in Ordnung.
Zur Frage der Bezahlung von Angehörigen – es gibt ab dem Jahr 2023 einen Bonus von 1 500 Euro –: Natürlich ist es gut, auch den Menschen, die pflegen, als Anerkennung für ihre geleistete Tätigkeit Geld in die Hand zu geben. Ich hoffe nur, dass es möglichst viele dann auch wirklich bekommen. Sie können nicht mit Ihrer größten Pflegereform aller Zeiten Hoffnungen schüren, die Sie dann nicht einhalten. (Präsidentin Schwarz-Fuchs übernimmt den Vorsitz.)
Sie sprechen dabei von 30 000 Personen – das ist sehr wenig. Wir haben sehr viel mehr pflegende Angehörige, die hoffen, jetzt auch eine finanzielle Entlastung zu bekommen. Das wäre für sie wichtig, auch wenn sie nicht im gemeinsamen Haushalt leben, sondern in der Woche vier-, fünfmal zu ihren Angehörigen fahren, um sie zu betreuen, um die Pflege zu koordinieren.
Sie kündigen an, dass auch in der 24-Stunden-Betreuung noch Verbesserungen kommen, da warten wir drauf. – Wie gesagt, es ist ein Pflegepaket, wir warten auch auf das weitere.
Ich darf noch etwas auch aus Sicht der Frauen mitgeben: Eines der größten Probleme auch für die Beschäftigten im Bereich der Pflege- und Gesundheitsberufe – das ist ident mit anderen Bereichen – ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wenn man die Kinderbildungseinrichtungen jetzt nicht umfassend und in einem großen Schwung mit 1 Milliarde Euro ausbaut, dann wird das alles nicht mehr zusammenpassen. (Beifall bei der SPÖ.)
Es muss davon ausgegangen werden – ich hoffe, es ist allen wirklich bewusst –, dass sich das Pensionsantrittsalter der Frauen ab 2024 bis 2032 ganz rasch anheben wird, das heißt, dieses Back-up, das Österreich sehr stark hat – Oma wird auf das Enkelkind schauen und Oma wird pflegen (Zwischenruf der Bundesrätin Grimling) –, das wird in dieser Form vorbei sein. Darauf muss man hinschauen und da muss man Angebote machen: einerseits Angebote der Kinderbildung und auf der anderen Seite Angebote für Angehörige von älteren Menschen, die Pflege, Betreuung brauchen, wie Tagesheimstätten, wie Ausbau der mobilen Dienste. Das ist die Zukunft. Man muss neue Formen finden, damit die Menschen – in der Situation, in der Kinderbetreuung und/oder Pflege notwendig ist – Beruf und Familie miteinander vereinbaren können, das ist ganz, ganz wichtig. Es gibt also vieles zu tun. (Beifall bei der SPÖ.)
Wir freuen uns über den Erfolg, der jetzt gelungen ist. Wir freuen uns darüber, dass der Druck, den wir gesetzt haben, gewirkt hat und dass jetzt etwas am Tisch liegt. Man kann auch dem Herrn Bundesminister gratulieren, dass es jetzt da ist, das ist gar keine Frage, so ehrlich muss man sein, aber es ist ein erster Schritt. Wir sehen, dass sich in der Struktur bei der Pflege nichts ändert. Es wird für zwei Jahre ein großes Feuer, ein positives Feuer angezündet. Was kommt danach?
Die Struktur der Pflege ist eines der komplexesten und wichtigsten Dinge. In der Struktur müsste man im Interesse der Beschäftigten, der Angehörigen, aber auch jener, die gepflegt werden müssen, nachhaltig arbeiten, da müsste man etwas tun. Das sehen wir noch nicht, aber wir warten auf das nächste Pflegepaket, und vielleicht wird dieses dann jene Lücken, die wir jetzt noch erkennen, auffüllen.
In unserer Anfrage haben wir noch zusätzlich die Frage gestellt, wie es denn mit der kassenärztlichen Versorgung ausschaut. Auch das ist gerade für uns im Bundesrat in der Situation, dass wir wissen, dass sehr viele kassenärztliche Stellen nicht besetzt werden können, ganz wichtig. Es wird oft x-mal ausgeschrieben und der Platz kann nicht besetzt werden – also da wäre ganz, ganz dringender Handlungsbedarf. Wir sehen, dass Länder zur Selbsthilfe greifen und selbst unterstützende Modelle auf die Beine stellen. Das kann aber nicht der Weg sein, es braucht da eine bundeseinheitliche Lösung.
Wir freuen uns auf die Beantwortung dieser und aller anderen Fragen und freuen uns auf die Pflegereform Nummer zwei. Ich weiß nicht, wie Sie die dann betiteln werden: das allerallergrößte Reformpaket der vergangenen Jahrzehnte? – Schauen wir einmal, was Ihren Medientechnikerinnen und -technikern da noch einfällt. Spielen Sie es nicht zu groß! Das Thema Pflege ist zu berührend, zu wichtig, als dass man das in zu großen Superlativen abbildet. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)
13.34
Präsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Zur Beantwortung hat sich Herr Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.