1787/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 07.07.2021
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen
betreffend Bundesweiten Chancenindex jetzt umsetzen
„Bildung ist eine unserer wichtigsten Investitionen in die Zukunft. Sie ermöglicht die Entfaltung der Persönlichkeit und Talente, bewirkt mehr Chancengerechtigkeit, ebnet den Weg zu einer passenden Berufswahl und schafft so das Fundament für ökonomische Unabhängigkeit sowie für ein selbstbestimmtes Leben“, so die einführenden Worte zum Kapitel Bildung im aktuellen Regierungsprogramm der türkis-grünen Koalition.
Hinsichtlich mehr Chancengerechtigkeit für alle Kinder krankt das österreichische Bildungssystem jedoch seit langem an einem Grundproblem, das durch das viel zitierte Brennglas der Corona-Krise erneut verdeutlicht wurde: Bildung und Bildungserfolg werden in Österreich nach wie vor in hohem Maße vom Elternhaus geprägt und „vererbt“. Das österreichische Schulsystem delegiert zudem sehr viele Aufgaben an die Eltern, daher hängt viel davon ab, ob Eltern unterstützen können oder nicht (in der Soziologie als "primärer Schichteffekt" bezeichnet). So fiel auch der Befund von Bildungspsychologin Christiane Spiel entsprechend aus: „Man muss einfach sagen: Das österreichische Bildungssystem hat es schon vor der Pandemie nicht geschafft, Chancengerechtigkeit herzustellen. Und in der Pandemie hat sich das verstärkt.“
Auch die OECD moniert seit Jahren die hohe Bildungsungleichheit in unserem Land. In Österreich sind die Bildungschancen noch ungleicher verteilt als in den meisten anderen Industriestaaten, das zeigt nicht zuletzt der OECD Bericht "Equity in Education" aus 2018. So sind die Leistungen stärker vom sozioökonomischen Hintergrund abhängig als im OECD-Schnitt, Kinder aus bildungsfernen Schichten erreichen noch seltener einen Hochschulabschluss. https://www.oecd.org/education/equity-in-education-9789264073234-en.htm
Der Prozentsatz benachteiligter Schüler_innen, die mindestens die PISA-Leistungsstufe drei (von insgesamt fünf) erreichen, beträgt in Österreich 23 Prozent (OECD-Schnitt: 25 Prozent). Die Top-Länder (Estland, Japan, Finnland, Kanada) haben Werte von 40 Prozent bzw. darüber, auch Deutschland kommt auf immerhin 32 Prozent. Rund 16 Prozent der Leistungsunterschiede bei PISA waren in Österreich durch den unterschiedlichen sozialen Status der Schülerinnen und Schüler bedingt. Das ist in etwa der gleiche Wert wie in Deutschland, liegt aber über dem OECD-Schnitt (13 Prozent) und weit hinter Ländern wie Norwegen oder Estland (8 Prozent).
Wie Analysen der Arbeiterkammer aus 2020 zeigen, haben 17,5 Prozent aller Pflichtschulen in Österreich einen hohen bis sehr hohen zusätzlichen Unterstützungsbedarf, da unabhängig vom Bundesland viele Schulstandorte mit großen sozialen Herausforderungen konfrontiert sind. Eine Schulfinanzierung nach Chancenindex würde laut Berechnungen der AK zwischen 300 und 350 Millionen Euro im Jahr kosten – in etwa so viel, wie das österreichische Bildungsbudget unter dem OECD-Durchschnitt liegt. https://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeitundsoziales/bildung/Chancen-Index.html
Nach mehr als 16 Monaten der Pandemie klafft die Bildungsschere in Österreich weiter denn je auseinander. Um strukturelle Ungleichheiten abzufedern, bräuchte es umfassende, nachhaltige Förderangebote, pädagogisches und psychosoziales Unterstützungspersonal, administrative Supportstrukturen und vor allem durch einen fairen Chancen-Index zu vergebende Mittel für eine aktive, nachhaltige Schulentwicklung verbunden mit der dafür notwendigen pädagogischen Freiheit an den Standorten.
Ein Festhalten allein am Projekt 100 Schulen mit einer Ressourcenzuteilung von insgesamt 15 Millionen Euro ab dem Sommersemester 2022 bis Ende des Sommersemesters 2023 greift nicht nur zu spät sondern auch viel zu kurz. Hundert teilnehmende Schulen bedeutet, dass nur jede elfte Pflichtschule mit großen Herausforderungen berücksichtigt werden kann. Damit wird man den Herausforderungen, mit denen das Bildungssystem aktuell konfrontiert ist, nicht wirklich begegnen können.
Schule ist nicht nur ein Ort des Wissenserwerbs, Schule ist ein Ort der sozialen Begegnung, Schule ist jener Ort, an dem junge Menschen ihre Talente erkennen und Potenziale entwickeln können sollen. Es ist Aufgabe der Politik, für die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sorgen, damit Schulen sozioökonomische Ungleichheiten und besondere Herausforderungen, die Schülerinnen und Schüler mitbringen, ausgleichen und für tatsächliche Chancengerechtigkeit sorgen können. Diese Verantwortung ist nicht aufschiebbar, nicht delegierbar und gerade in Zeiten der Pandemie unabdingbar wahrzunehmen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Der Nationalrat wolle beschließen:
"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, wird aufgefordert, umgehend Maßnahmen zur Herstellung von Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler in Österreich zu treffen und die flächendeckende, bundesweite Implementierung des Chancenindex an österreichischen Schulen umzusetzen. Entsprechende zusätzliche Budgetmittel - bspw. aus den Geldern des EU-Aufbaufonds - sind dafür bereitzustellen und eine nachhaltige Finanzierung des Chancenindex in der weiteren Budgetplanung ist entsprechend vorzusehen."
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Unterrichtsausschuss vorgeschlagen.