16.40

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Frau Bundesministerin! Herr Vizekanzler, Sie haben heute bei einer Pressekonferenz gesagt: Wer bei 99 Prozent Erfolg das Glas nur halb leer sieht, der sei bösartig. (Beifall des Abg. Hörl.) Ich würde jetzt für mich einmal in Anspruch nehmen, dass ich nicht bösartig bin (Abg. Prinz: Ausschließen würde ich es aber auch nicht!), aber ich würde es umkehren und Ihnen entgegnen: Wer bei dem, was er hier vorlegt, glaubt, dass es ein 99-prozentiger Erfolg ist, der ist entweder ein bisschen naiv oder zu lange schon in der Bundesregierung. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Ich kann Ihnen das anhand von ein paar Beispielen, die Kollege Stefan auch schon angeschnitten hat, aufzeigen. Überlegen Sie: In der Gemeinde X leben Herr und Frau Müller. In der Gemeinde X wird eine Veranstaltungshalle gebaut und die Familie interessiert sich dafür, was dieser Bau der Veran­staltungshalle denn gekostet hat. Die Gemeinde X ist leider eine Gemeinde, die bei der Volkszählung 2021 unter 5 000 Einwohner hatte. Mittlerweile hat sie über 5 000 Einwohner, das ist aber irrelevant, es geht darum, was 2021 bei der Volkszählung gewesen ist: unter 5 000 Einwohner. Die Gemeinde muss nicht proaktiv veröffentlichen, was das Bauvorhaben gekostet hat.

Im Übrigen ist diese Regelung, und das wissen Sie ja genau, dass Gemeinden unter 5 000 Einwohnern nicht proaktiv veröffentlichen müssen, ja nur deswegen zulässig, weil Sie es in den Verfassungsrang gehoben haben. Das heißt, Sie wissen natürlich, dass es sachlich vollkommen ungerechtfertigt gewesen wäre, da eine normale Bestimmung zu machen; alleine deswegen ist das einiger­maßen schwierig. (Beifall bei NEOS und FPÖ.)

Kollege Stefan hat gesagt, es handelt sich um 40 Prozent der österreichischen Bevölkerung, die in Gemeinden leben, in denen in Zukunft keine proakti­ve Veröffentlichungspflicht gilt.

Herr und Frau Müller sind immer noch interessiert, haben diese Information nicht proaktiv von der Gemeinde bekommen und sind deswegen zur Gemeinde gegangen. Sie haben die Möglichkeit, anzufragen, sie haben das Recht auf Infor­mation. Sie gehen dorthin, fragen nach, und ihnen wird die Auskunft verweigert.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sind Herr und Frau Müller ausgezeichnete Juristen, kennen sich ausgezeichnet aus, wissen, dass sie, wenn ihnen die Auskunft verweigert wird, von der Gemeinde verlangen müssen, dass sie einen Bescheid bekommen, in dem drinsteht, dass ihnen die Auskunft verweigert wird. Dann haben sie die Möglichkeit, mit diesem Bescheid zu Gericht zu gehen, zum Verwaltungsgericht, und dagegen anzukämpfen. Die viel realistischere Sache wird sein, dass Herr und Frau Müller die Antwort: Nein, diese Information liefern wir nicht!, von der Gemeinde kriegen und sie gar nicht wissen, dass sie einen Bescheid brauchen, um ihn bekämpfen zu können. Sie kriegen automatisch keinen Bescheid, sie kriegen dementsprechend auch keine Rechtsmittelbelehrung. Das heißt, sie bleiben im Unklaren und kriegen diese Information höchstwahrscheinlich nicht.

Das heißt, was Sie etablieren, ist eine Zweiklassengesellschaft, einerseits von Menschen, die in Gemeinden unter 5 000 Einwohnern wohnen, und andererseits von Menschen, die in Gemeinden über 5 000 Einwohnern wohnen. Sie etablieren eine Zweiklassengesellschaft von Menschen, die sich juristisch gut auskennen, und jenen, die das nicht tun.

Man könnte jetzt meinen, man kann für dieses Problem Abhilfe schaffen und eine Stelle einrichten, die sagt: Ich unterstütze die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, ich helfe ihnen dabei, wenn sie Informationen bekommen wollen!, einen sogenannten Informationsfreiheitsbeauftragten, der die Bürgerin­nen und Bürger unterstützt – im Übrigen eine jahrelange Forderung der Grünen, das einzurichten, nur Sie tun es nicht.

Neben den Gemeinden unter 5 000 Einwohnern, die nicht proaktiv veröffentli­chen müssen, sind übrigens auch Landtage von dieser proaktiven Veröf­fentlichungspflicht ausgenommen. Gänzlich ausgenommen und nur gegenüber ihren Mitgliedern verantwortlich sind die Kammern. Sie wissen, die Arbei­terkammer sitzt aufgrund der Zwangsbeiträge auf einer Rücklage in Millionen­höhe, die Wirtschaftskammer in Milliardenhöhe. Diese sind nur ihren Mit­gliedern Rechenschaft schuldig (Abg. Prammer: Das sind ja nur ein paar, gell!?) und müssen nicht allen Menschen in Österreich entsprechend Rechenschaft geben. Ich halte das für grundsätzlich falsch.

Man könnte jetzt sagen, man geht da den ersten Schritt und schaut, ob ein Ge­setz praktikabel ist, und macht dann Verbesserungsvorschläge, man eva­luiert es und ändert es dann. Das Problem ist, dass Sie auch das nicht vorhaben. Sie zementieren mit Ihrer Ewigkeitsklausel, die festlegt, dass bei einer Än­derung, bei einer Novellierung dieses Gesetzes wieder alle neun Bundesländer zustimmen müssen, das, was Sie hier vorlegen, auf die nächsten 100 Jah­re wieder ein, und es wird nicht besser werden.

Trotz all dieser schon aufgezählten Schwachstellen könnte man jetzt meinen: Na ja, es ist trotzdem gut!, aber nicht einmal das ist der Fall, Herr Vizekanzler. Sie höhlen das gesamte Gesetz mit einer einzigen Regelung komplett aus. Durch jedes einfache Bundes- oder Landesgesetz, das eigene Informationszugangs­regelungen vorsieht, vielleicht auch restriktivere, wird das Informationsfreiheits­gesetz nicht anwendbar, weil es einen Anwendungsnachrang hat.

Profunde Verfassungsjuristen werden jetzt sagen: Selbstverständlich, auch diese einfachen Gesetze müssen sich an einem Verfassungsgesetz orientieren!, und das ist ja vollkommen richtig. Das Problem ist nur: Was ist denn mit verfassungswidrigen Gesetzen, die in Geltung sind? – Sie sind so lange in Gel­tung, bis sie jemand bekämpft. Das heißt, jeder einfache Bürger, der auf­grund eines verfassungswidrigen Gesetzes keine Information bekommt, muss selbst zum Verfassungsgerichtshof gehen und dieses Recht einklagen.

Ich glaube, als selbstbewusstes Parlament und als Parlament, das den Bürgerinnen und Bürgern eigentlich mehr Informationen zur Verfügung stellen will, sollte man solche Wege nicht gehen und sie quasi zum Verfassungsge­richtshof schicken, sondern man sollte von selbst eine Regelung schaffen, die es allen Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, Informationen auch zu bekommen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Alles in allem: Was Sie hier vorschlagen, wird von Ihnen Informationsfrei­heitsgesetz genannt. Nur weil man etwas Informationsfreiheitsgesetz nennt, heißt das noch lange nicht, dass alle Menschen in Österreich auch wirklich Informationsfreiheit bekommen werden, und das ist leider das traurige Ergebnis eines sehr schwachen Kompromisses, den Sie heute hier vorlegen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

16.46

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Leicht­fried. – Bitte. (Abg. Lausch: Die Sozialdemokraten hören wir immer gern!)

 

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